Ule Rolff liest … Himmel und Hölle von Jón Kalman Stefánsson

„Er las ein Gedicht und fror deshalb zu Tode.“

Schroff und nüchtern trifft dieser Satz aus „Himmel und Hölle“ wie ein Faustschlag. Ohne jeden Hauch von Zynismus stellt Jón Kalman Stefánsson einen Fakt fest.

Karg und kalt ist alles in dem isländischen Fischerdorf vor 100 Jahren, auch die Sprache – und ausgerechnet dort begeistern sich zwei Jungen für Poesie, entdecken, lesen, lernen auswendig, damit sie während des öden Wartens auf den Fang den frierenden Fischern die Seele mit Gedichten wärmen.

Meisterhaft wechselt Stefánsson das Tempo:

Mal verfliegen zwei Jahre in sieben Zeilen, in denen er eine Familie auslöscht, und mit seinem sachlichen Ton treibt er mir Tränen in die Augen.

Und dann wieder gibt er der erzählten Zeit ganz viel Raum. Tückisch bettet er die ersten Anzeichen des Unwetters in seine Erzählung und steigert den Sturm in atemberaubender Dynamik, bis er mörderisch über dem eisigen Nordmeer wütet, begleitet vom schleichenden Kältetod des Jungen vor den Augen des Freundes und der Bootsbesatzung.

Die erbarmungslose Vernunft, die Bardur sterben lässt, ist erschütternd nachvollziehbar, einvernehmlich zwischen dem Opfer, den Fischern und der Leserin.

Nie zuvor haben mich Gebete in der Literatur so überzeugt, wie das „Steh uns bei“ der Menschen, die täglich bei jedem Handgriff ihrer Arbeit Todesangst erinnern.

Ein Buch über Gefahr und Macht der Poesie, aufregend, eisig, berührend.

Das Buch: Jón Kalman Stefánsson, Himmel und Hölle … Piper Taschenbuch, aus dem Isländischen übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig