Anne Kuhlmeyer – „Kriminalliteratur wird unterschätzt“

Anne Kuhlmeyer wohnt in Coesfeld-Lette, arbeitet in Reken und ist leidenschaftliche Krimiautorin. Auf der 2. Literatur-Session im Kunstmuseum Borken las sie eine spannende Kostprobe aus ihrem neuestem Roman „Die Spur der Zugvögel“. Das Krimigenre wird unterschätzt, findet sie. Krimis böten mehr als reine Unterhaltung. Wer sich ernsthaft damit befasse, stelle fest, wie großartig, realitisch, kritisch, komisch und nachhaltig Kriminalliteratur sein kann. Sie selbst möchte ihren Geschichten neben der spannenden Unterhaltung eine zweite Ebene geben, für diejenigen, welche sie sich erschließen können.

Litborken:Seit wann schreiben Sie und wie kamen Sie dazu?

Anne Kuhlmeyer: Ernsthafter schreibe ich seit ca. acht Jahren. Tja, wie kam ich dazu? Ich habe mich geärgert. Über einen ziemlich schlimmen Kriminalroman. Und ich hab gedacht: Muss man denn alles selber machen? (Schließlich streiche ich auch die Zimmer und kriege einen Dübel in die Wand, wenn es Not tut.) Damals begann ich in einer Internet-Schreibwerkstatt zu lernen, sehr spielerisch das Ganze. Nach Kurzgeschichten traute ich mich 2009 an meinen ersten Roman, „Freitags Tod“, der 2010 im Prolibris Verlag Kassel, erschien.

Litborken: Schreiben Sie auch etwas anderes, als Krimis? Eine heimliche Liebe zur Dichterei etwa oder über ernste Themen, die Ihnen am Herzen liegen?

Anne Kuhlmeyer: Momentan hat die Kriminalliteratur meine ganze Aufmerksamkeit. Lyrik lese ich lieber. Das ist besser für meine soziale Umwelt… Interessant, dass Sie „ernst“ und „Krimi“ einander gegenüber stellen. Tatsächlich finde ich die E und U-Diskussion wenig überzeugend. Gute Kriminalliteratur unterscheidet sich in nichts von guter Literatur. Es handelt sich einfach um gute Texte. Das Genre „Kriminalroman“ ist so vielfältig und allen Versuchen zum Trotz, nicht näher definiert, dass ich in dem Rahmen jede Geschichte erzählen kann, die ich sowieso erzählen wollte. Und davon gibt es viele.

Litborken: Hat Ihre Arbeit Einfluss auf das, was Sie schreiben? (Anne Kuhlmeyer ist Psychotherapeutin)

Anne Kuhlmeyer: Ja, klar. Ganz unbedingt! Erkenntnistheoretisch, thematisch und sprachlich. Aber auch umgekehrt hat die Beschäftigung mit Literatur Einfluss auf meine psychotherapeutische Tätigkeit.

LitBorken: Haben Sie schon mal etwas geschrieben, was Sie nicht wollten? Etwa für eine spezielle Lesung?

Anne Kuhlmeyer: Nein, das nicht. Aber ich habe Texte für Lesungen gekürzt oder geändert. Eine Lesung hat mit der Schreiberei und sogar mit dem Text nicht so sehr viel zu tun, finde ich. Sie ist ein Event. Das Publikum kommt, um unterhalten zu werden. Und das soll es auch. Darauf stelle ich meinen Vortrag ab und hoffe auf eine gute Moderation und/oder ein hübsches Rahmenprogramm. In dem Spaß und der Freude sehe ich den Sinn einer Lesung.

Litborken: Kann man vom Schreiben leben? (Ich weiß – es ist utopisch)

Anne Kuhlmeyer: Na, man hat davon gehört, dass Einzelne vom Schreiben leben können. Ein Prozent der Schreibenden, heißt es. Ich gehöre nicht dazu. Und ich möchte das auch nicht. Zum Einen habe ich einen Beruf, den ich sehr liebe. Zum Anderen möchte ich nicht auf die absolut unüberschaubaren Bedingungen des Buchmarktes angewiesen sein. Was bedeutet: Solange ich nicht vom Schreiben leben muss, ist das eine große Freiheit für den Text.

Litborken: Lesen Sie viel und was lesen Sie?

Anne Kuhlmeyer: Ich lese viel (wenn ich nicht gerade schreibe) und lese vorwiegend, aber natürlich nicht ausschließlich, Kriminalromane. Das liegt auch daran, dass ich sie in einem online-Feuilliton rezensieren darf. Es handelt sich um eine spannende, junge Kultur-Seite mit Informationen, Rezensionen, Kurzgeschichten, Satire, Musik, Cartoons …frech und multimedial. Hier finden Sie sie: www.culturmag.de

Litborken: Haben Sie einen Lieblingsautoren oder ein literarisches Vorbild?

Anne Kuhlmeyer: Oh, viele. Leider. Aber vielleicht ein Beispiel für ein zuletzt gelesenes Buch: Martin von Arndt, Oktoberplatz. Die Rezension finden Sie hier: http://culturmag.de/rubriken/buecher/martin-von-arndt-oktoberplatz/47769 Auch bei den literarischen Vorbildern gibt es einige, die ich gar nicht alle benennen kann. Beim Lesen von guten Texten lerne ich, wie sie gemacht sind und freu mich über die Erfahrung.

LitBorken: Arbeiten Sie an einem neuen Projekt?

Anne Kuhlmeyer: Ja. Und ich muss mich beeilen damit, denn der neue Kriminalroman soll Ende Mai fertig sein und einer Agentur vorliegen. Nach „Die Spur der Zugvögel“, der 2011 erschien, bevölkern zwar einige Protagonisten den neuen Roman, auch beginnt er, wie seine beiden Vorgänger, in Coesfeld, führt Julia Morgenstern aber in meine Heimatstadt Leipzig. Sie wirft ihren Polizei-Job hin und steigt bei einer Sicherheitsfirma mit höchst fragwürdigem moralischen Konzept ein. Thematisch widmet sich der Roman dem Umgang mit rechter Gewalt. Es gibt Neo-Nazis, prekär Beschäftigte vom Arbeiterstrich, Juristen, Immobilienhaie … Aber wer „gut“ und „böse“ ist …? Nichts ist sicher.

LitBorken: Haben Sie Kontakt zu anderen Autorinnen/Autoren?

Anne Kuhlmeyer: Auf unterschiedliche Weise. Viele Kontakte laufen virtuell. Auch aus meiner Anfänger-Schreibwerkstatt haben sich Kontakte erhalten, ja Freundschaften gebildet. Daneben bin ich Mitglied imSyndikat„, der Vereinigung deutschsprachiger Kriminalschriftsteller, und der Mörderischen Schwestern„, einer Vereinigung von Krimi-Autorinnen, Lektorinnen, Verlegerinnen, Leserinnen, Krimi-Intressentinnen …

Litborken: Welche Wünsche in Bezug auf Förderung von Schreibenden oder welche Einrichtungen/Aktivitäten/Wettbewerbe im Kreis Borken würden Sie sich wünschen?

Anne Kuhlmeyer: Für wünschenswert halte die die Förderung des Lese- und Schreibinteresses bei Kindern und Jugendlichen. Es ist einfach wunderbar, wenn sie sich über Literatur eine ganze Welt (neben ihren anderen Welten: Freunden, Technik, Musik, Games, Internet) eröffnen können. Ob ein Autorenförderung sinnvoll ist, vermag ich nicht zu sagen.

Litborken: Ein kleiner Ausblick: Wie sehen Sie ihre schriftstellerische Zukunft in Ihren Wünschen und wie schätzen Sie sie realistisch ein?

Anne Kuhlmeyer: Der erste Teil der Frage ist leicht zu beantworten: Ich schreibe weiter. Weil es nicht anders geht. Die Entdeckung der Sprache erlebe ich als großes Geschenk. Als Leidenschaft, vielleicht als Obsession… Wie groß meine Leserschaft sein wird, kann ich überhaupt gar nicht einschätzen. Das ist von so zahlreichen, unwägbaren Faktoren des Buchmarktes abhängig, dass man dazu keine Aussagen machen kann.

Anne Kuhlmeyer Krimis erscheinen im Prolibris-Verlag Kassel.